Schollheim - Bewohner und Ehemalige

Eine Reise zu den Anfängen der sechzigjährigen Schollheimgeschichte




Beweist durch die Tat dass ihr anders denkt


Artikel für die interne Zeitschrift des Schollheims, die 'Schollzeit'
Autor: David Danin, Bewohner des Schollheims
September 2019


Was bedeutet Wohnungsnot? Die Münchner Studierendenschaft ist mit flächendeckend steigenden Mietpreisen konfrontiert. Wohnraum in der Stadt ist keine Selbstverständlichkeit, sondern so rares wie luxuriöses Gut. Nicht nur diejenigen, die eine Zweizimmerwohnung finden, können sich glücklich schätzen, sondern auch all jene, die ein einfaches Zimmer in einer WG ergattern, weswegen es verlockend ist, von einer Wohnungsnot zu reden. Diese hat uns Schollis nicht erreicht, was jedoch durch eine Wohnungsnot bedingt ist, die das heutige Ausmaß bedeutend übersteigt.

Fotografien von 1945 erzählen eine Geschichte von Leid und Verlust. Fünfzig Prozent des Münchner Gebäudebestandes waren zerstört worden. In Obdachlosigkeit lebten im Stadtgebiet um die 300.000 Menschen, was die halbe Stadtbevölkerung ausmachte, während aus den östlichen Gebieten des ehemaligen Reiches Fluchtbewegungen die Einwohnerzahl noch sprunghaft ansteigen ließen. Auch zehn Jahre nach Kriegsende lebten in München ganze 3,5 Einwohner pro Haushalt – eine Zahl die sich auf heute 1,8 Personen fast halbiert hat. Im Vergleich zu den frühen Jahren der Bundesrepublik ist unsere Wohnungsnot also beinahe paradiesisch.

Bereits im April des Jahres 1946 wurde der Lehrbetrieb an der TU München wieder aufgenommen, zwei Monate später folgte die Wiedereröffnung der benachbarten Ludwig-Maximilians-Universität. In dieser Zeit der dezentralisierten Rekonstruktion kämpften auch die Universitäten gegen massive Verluste. So war ein Drittel des Bibliotheksbestands an der LMU durch den Krieg vernichtet worden. Obwohl in „Studentenbautrupps“ noch bis 1949 als allgemeine Voraussetzung zur Studienzulassung eine Mithilfe am Wiederaufbau der Universität eingefordert wurde, stieg die Studierendenzahl der LMU bis 1949 auf 9.000, während an der TU München knapp 5.000 Studenten immatrikuliert waren.

Die stark steigende Zahl Studierender wirkte sich negativ auf ihre Lebenssituation aus. Das Sozialbild der Münchner Studentenschaft, herausgegeben vom Statistischen Amt der Landeshauptstadt im Juni 1949, verdeutlicht die prekäre Situation der hiesigen Studenten in den Nachkriegsjahren. Knapp über zwei Drittel waren Kriegsteilnehmer, ein Fünftel sogar Kriegsversehrte. Die Hälfte der Studierenden lebte von weniger als drei Mahlzeiten, bei den Frauen sogar sechzig Prozent. Am schlimmsten erwies sich jedoch die Wohnsituation. Zwar lebten achtzig Prozent der Studierenden am Hochschulort, jedoch benötigte von diesen die Hälfte mehr als eine Stunde für den täglichen Weg zur Hochschule und zurück. Ein knappes Drittel lebte in Zimmergemeinschaften, die auch ein Ausdruck der Wohnungsnot sind, die weit über das Gründungsjahr der Bundesrepublik noch herrschte. 

Am 13. Juli 1956 trat im Café Odeon an der Theatinerkirche der „Studentenwohnheim Geschwister Scholl e.V.“ zur Gründung zusammen. Aus der Wohnungsnot entstand die Idee, jungen Menschen ein universitätsnahes Wohnen im Studium zu ermöglichen. In der originalen Satzung verpflichtet sich der Verein zur Errichtung und Unterhaltung eines Studentenwohnheimes als einziges Ziel. Interessant ist bei der Gründungsversammlung vor allem die Liste der anwesenden, illustren Persönlichkeiten: Vom Universitätspräsidenten und ersten Vereinsvorsitzenden Prof. Marchionini über den damaligen Bayerischen Justizminister Fritz Koch bis hin zum späteren Münchner Oberbürgermeister und Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel. Studentisches Wohnen im Schollheim war so schon immer gesellschaftspolitische wie generationenübergreifende Aufgabe.

Das Grundstück des Schollheims wurde durch die Stadt München zur Verfügung gestellt, auf dem durch das Architektenehepaar Grete und Werner Wirsing das Wohnheim gebaut wurde. Von Anfang an war dieses als Begegnungsstätte geplant, wie im Jahr 1959 schon der Bayerische Staatsanzeiger feststellte. Die Studenten, die zuvor von der ersten Heimleiterin Dr. Helga Grebing sorgfältig ausgewählt worden waren, zogen 1960 ein, darunter ein Viertel Frauen und 40 Prozent Ausländer. Mit Platz für 144 Studenten und Mieten von 72 DM im Einzel- bzw. 62 DM im Doppelzimmer linderte das Schollheim für bedürftige Studenten die Wohnungsnot. Zur offiziellen Eröffnung des ersten privat finanzierten Wohnheims in München erschienen im Januar 1960 viele bekannte Persönlichkeiten – u.a. der ehemalige Bayerische Ministerpräsident und Schirmherr des Vereins, Dr. Wilhelm Hoegner, wie auch der Vater der Geschwister, nach denen unser Wohnheim benannt ist, Robert Scholl.

Die Gründung des Wohnheims politischen Charakters sollte besonders jenen Gedenken, die höchst politisch gehandelt hatten. Wie Alexander Graf von Stauffenberg, ein Bruder des Widerstandskämpfers vom 20. Juli 1944, es in seiner Festansprache zur Denkmalsenthüllung im Jahr 1962 treffend fasste, waren inmitten der „dantesken Begebnisse verrufenster Qual“ die Geschwister Scholl als Mitglieder der Weißen Rose die „freiesten Menschen“. Ihnen verdanken wir, so Stauffenberg, die Rückgabe der verlorenen Selbstachtung, also das, was Churchill schon 1946 als „Fundament des Aufbaus“ erachtete. Doch soll der Name der Geschwister Scholl nicht bloßes Denkmal sein, sondern auch ein Mahnmal, uns an jenen zu orientieren, die ihr Leben für ein freies Volk geopfert haben, deren ganze Reinheit und Hoheit im Zeichen der Weißen Rose und im Namen unseres Wohnheims bis heute weiterlebt.

Die Eröffnung des Haus III im Januar 2020 ist vor diesem geschichtlichen Hintergrund eine konsequente Fortsetzung des Grundgedankens des Schollheims aus den vergangenen sechzig Jahren. So hält auch für uns persönlich die Geschichte des Wohnheims, das vielmehr ein Ort zum gemeinsamen Leben denn zum reinen Wohnen ist, eine wichtige Lehre bereit: Sehen wir ein Problem, wie damals und in kleinerem Maßstab auch heute die Wohnungsnot, so nützt es nur, das Problem zielstrebig anzupacken. Wenn auch in anderem geschichtlichen Rahmen, so greift die Weiße Rose diesen Gedanken im fünften Flugblatt mit höchster Präzision ebenso auf: „Beweist durch die Tat, dass ihr anders denkt“ – ein Leitspruch, der uns auch die nächsten sechzig Jahre Schollheimgeschichte stets begleiten sollte.

14. Januar 2020

Details | Einweihungsfeier Haus 3Einweihungsfeier Haus 3
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